Man muß nicht das Rad neu erfinden, wenn man die Not der Zeit wenden will oder endlich zur sinnvollen Tat schreiten will. Es ist alles schon da. Weil es so gut ist, weil es so nützlich und sinnvoll ist, weil es tatsächlich eine menschengemäße Zukunft erschaffen könnte, weil es machbar ist – jetzt! von jedem Einzelnen – , könnten wir loslegen. Doch das „Rad“ wurde leider oder mit Absicht so un-rund gemacht, die Mittel und Wege so verbogen, dass es nicht rollen kann. Eine Ursache ist das Zerreden, das Zer-philosophieren und eine andere Ursache ist das Entleeren der Begrifflichkeiten, welches den Sinn und die Seele der Werkzeuge zerstört.

Was einst mit hoffnungsvollen Inhalten und oft kernigen Überschriften begann, schleift sich mit der Zeit ab und wird oft zu dem inhaltsentleerten Einheitsgrau, welchem wir in der Politik nur allzu oft begegnen. Da werden Inhalte ausgelegt, interpretiert und verfremdet, manchmal noch bevor man verstanden hat, was ursprünglich überhaupt damit gemeint war. Und dann wird so lange daran herumgeschliffen und gekürzt, bis der kleinste gemeinsame Nenner gefunden wurde, auch wenn der wesentliche Inhalt dabei verloren gegangen ist.

Der Vorläufer der Partei dieBasis, Widerstand2020, hatte schon „die vier Säulen“. Es waren ursprünglich drei (Freiheit, liebevoller Umgang, Machtbegrenzung), die Schwarmintelligenz wurde nachträglich hinzugefügt. Diese Säulen waren ein wichtiger und starker geistiger Impuls, wodurch es zu einer Bewegung werden konnte. Aber schon in kurzer Zeit wurden diese Säulen durch die vielen beteiligten Menschen abgeschliffen: Aus „liebevoller Umgang“ wurde Achtsamkeit, das ist allerdings etwas ganz anderes. Die Liebe war plötzlich weg. Und die „Machtbegrenzung“ wurde unverbindlich, bezieht sich nicht mehr, wie ursprügnlich vorgesehen, auf die eigenen Reihen und hat es nicht einmal in die Satzung geschafft.

Was die Not wenden könnte: die Dreigliederung des sozialen Organismus

Die Dreigliederung des sozialen Organismus wurde von Rudolf Steiner vor über einhundert Jahren der Öffentlichkeit und der Politik vorgestellt. Über diese lange Zeit haben sich viele Menschen damit auseinandergesetzt. Es wurden zahlreiche Abhandlungen, Interpretationen und Bücher darüber geschrieben und Vorträge gehalten. Ich will hier nicht die Geschichte der Dreigliederungsbewegung der letzten 100 Jahre aufschreiben. Ich will lieber aufzeigen, wie mit der Zeit Inhalte ausgelegt und uminterpretiert wurden. So lange, bis sie ihren eigentlichen Sinn verloren haben.

Das Besondere an der Idee der Dreigliederung war, dass Rudolf Steiner die Ideale aus der französischen Revolution Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als Gliederung unseren sozialen gesellschaftlichen Bereichen zugeordnet hat:

  • Freiheit im Geistesleben
  • Gleichheit im Rechtsleben
  • Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben.

Dreigliederung meint, dass wir unsere gesellschaftlichen Verhältnisse danach gliedern, nicht trennen. Was das bedeutet, müssen wir erst einmal erlernen und völlig neu denken, weil in unserem kapitalistischen Gesellschaftssystem alles von der Wirtschaft bestimmt wird. Besonders erschwerend kommt hinzu, dass die Bereiche ineinander übergehen und nicht klar zu trennen sind. Ein Richter beispielsweise arbeitet im Rechtsleben, bezieht aber auch ein Einkommen und ist Konsument. Als Richter ist er aufgerufen, gleiches Recht für alle anzuwenden, als Konsument hat er Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen. Diese sind sehr individuell und unterliegen nicht dem Gleichheitsgrundsatz. An diesem einfachen Bespiel sieht man, wie schnell die Bereiche ineinander über gehen. Aber es heißt ja auch Dreigliederung und nicht Dreitrennung!

Brüderlichkeit

Ich möchte mich nun mit dem Begriff der Brüderlichkeit beschäftigen. Brüderlichkeit ist etwas, was so gar nicht zu dem passen will, was wir allgemein über das Wirtschaften denken. Und weil wir dazu keine passenden Gedanken bilden können, weichen wir erst einmal vom Thema ab und schrauben an dem Begriff Brüderlichkeit herum, noch bevor wir überhaupt verstanden haben, was Rudolf Steiner damit gemeint hat: „Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben“. Dann fangen wir erstmal an zu gendern (was ist mit den Schwestern?), und so wird aus Brüderlichkeit – Geschwisterlichkeit. Und schon haben wir den Inhalt verloren. Ein paar Initiativen sind noch weiter gegangen und haben aus Geschwisterlichkeit dann Solidarität gemacht. Und so verschwindet eine geniale Idee im Einheitsgrau unserer heutigen entleerten Begriffe. Der Begriff Solidarität wurde in der Corona-Krise so dermaßen mißbraucht, dass nur noch eine leere Worthülse ohne Sinn übrig geblieben ist!

Brüderlichkeit ist kein Geschlechtsbegriff, sondern eine Eigenschaft

Es meint z.B., wie die Brüder (und Schwestern) im Kloster füreinander da waren und füreinander gesorgt haben. Der Begriff der Brüderlichkeit ist hier nicht als geschlechtsspezifischer Begriff zu verstehen, sondern als Seelenhaltung. Diese ist ungeschlechtlich und betrifft alle Menschen. Vielleicht verkürzt umschrieben mit: Sorge um seinen Nächsten – Fürsorge. Die „Geschwisterlichkeit“ gehört zum Rechtsleben, denn dort sollten wir in der Gleichberechtigung alle gleich sein. Die ‚Schwesterlichkeit‘ gehört als die „weibliche Kraft“ ins ‚freie Geistesleben‘.

Mit Brüderlichkeit als Seelenhaltung sollten wir bei jeder wirtschaftlichen Handlung nicht danach fragen: „Was habe ich davon?“ oder „wieviel bekomme ich dafür?“, sondern: „Was brauchst du?“ oder, die Prazivalfrage: „Was fehlt dir?“ Wie würden unsere wirtschaftlichen Verhältnisse sich ändern, wenn wir damit anfangen würden, diese Seelenhaltung einzunehmen! Und dafür brauchen wir keine politischen Mehrheiten oder neue Gesetze, wir müssen es nur tun. Also fangen wir endlich damit an!

“Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird,
nicht das, was gemeint ist;
Ist das, was gesagt wird, nicht das was gemeint ist,
so kommen die Werke nicht zustande;
Kommen die Werke nicht zustande,
so gedeihen Moral und Kunst nicht;
Gedeihen Moral und Kunst nicht,
so trifft das Recht nicht;
Trifft das Recht nicht,
so weiß die Nation nicht, wohin Hand und Fuß setzen;
also dulde man keine Willkürlichkeit in den Worten –
das ist es, worauf es ankommt.”
Konfuzius

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